renk.

2014

Der Türke mit dem Lodenmantel

„Mit dieser Plattform wird das neue deutsch-türkische Miteinanders –jenseits der gängigen Klischees und der aktuellen deutschen Integrationsdebatte– gezeigt und aktiv mitgestaltet“, meinten Melisa Karakuş und Ömer Mutlu, Gründer_innen von renk., als sie das Projekt 2013 ins Leben gerufen haben. Der Türke mit dem Lodenmantel war der zweite Beitrag von Romero für renk.

Ertekin Hasanbeyoğlu in Blankenese

Text: Evan Romero
Fotos: Ertekin Hasanbeyoğlu. Evan Romero

Die Fassade vom Café Katelbach

« Als Ertekin Hasanbeyoğlu 1986 das Café Katelbach eröffnete, war er auf dem Weg, eine alte Tradition in Hamburg Ottensen wiederzubeleben. „Vor dem Krieg gab es in diesem Viertel viele kleine Kaffeeröstereien. Danach kamen die großen Ketten und das Handwerk verschwand. Aber das Katelbach wurde nach dem Prinzip eines typischen Wiener Kaffeehauses aufgebaut und zu jenem Konzept gehört, dass der Besitzer seine eigenen Kaffeebohnen röstet“, erzählt der Unternehmer. „Das Ganze war mir nicht völlig fremd, weil meine Großeltern in Bosnien mit Kaffee handelten und großartige Rezepte für Kaffeemischungen hatten. Als es sich herumsprach, dass es in Ottensen eine kleine, altmodische Kaffeerösterei gab, konnte ich sogar diejenigen zu meinen Kunden zählen, die mich am Anfang nicht ernst genommen hatten. Heute ist das Katelbach eine Institution“, versichert Hasanbeyoğlu ohne falsche Bescheidenheit. So schloss sich ein Kreis für ihn, der im Hamburger Villenviertel Blankenese der siebziger Jahre anfing.

Ertekin, wie würdest du deinen Weg vom Szenegänger in Hamburg-Blankenese zum Szene-Macher in Altona-Ottensen beschreiben?

Mein Weg war nicht geradlinig. Ich wurde als bosnischer Türke im ehemaligen Jugoslawien geboren. Ich hätte irgendwo anders landen können, als mich das Fernweh in meinem Istanbuler Gymnasium überwältigte. Die Möglichkeit, nach Hamburg zu ziehen, kam infrage, weil zwei meiner Brüder hier arbeiteten. Und die Entscheidung, in Hamburg zu bleiben, fiel, weil meine neuen Freunde und die Stadt mich stark prägten. Als ich ankam, war ich fünfzehn und mit sechzehn hatte ich mein erstes Zimmer in Blankenese. Die Tatsache, dass ich strohblond war und die deutsche Sprache schnell erlernte, hat meine Umgebung umgehauen, da es dem widersprach, was viele von einem Türken erwarteten. Ich bin mit den Kindern dieser großbürgerlichen Gegend aufgewachsen, ohne wegen meines Aussehens aufzufallen. Nichtsdestotrotz nannten mich viele „den blonden Türken“. Später, als ich in der Szene unterwegs war, nannte man mich „den Türken mit dem Lodenmantel“. Ich trug damals einen langen bayrischen Jägermantel.

Hast du damals viele Gleichgesinnte kennengelernt? Inwieweit konntest du dich als Zwanzigjähriger entfalten?

Ich hatte eine herrliche Zeit. Ich erlebte starke erotische Begegnungen und auch Liebeskummer, machte Freundschaften und auch Feindschaften, hatte wenig Schlaf und viele bereichernde Gespräche in verschiedenen Treffpunkten: vor dem einzigen Tchibo Café, das es damals in Blankenese gab; in der Kiffer-Szene vom Hessepark, wo ich hin und wieder einen Joint geraucht habe; in der berühmten Kneipe Zur Linde an der Dockenhudener Straße, wo ich das Trinken „gelernt“ und gerne mal eine Thüringer vom Grill gegessen habe. In die Kneipe Zur Linde gingen alle Blankeneser: die reichen und die armen, die Chefs und die Angestellten, die Spießer und die Hippies. Dort habe ich mit all diesen Menschen wertvolle Erlebnisse geteilt. Dank ihnen habe ich angefangen für die Blankeneser Zeitung Die Hauptstraße Fotos und Karikaturen zu machen, als Ersatzbariton in einem Kirchenchor zu singen und Jazz-Lieder zu interpretieren, nur so zum Spaß. Um so eine heterogene und kulturgeneigte Szene in Hamburg zu finden, muss man heute in die Schanze gehen.

Hast du als junger Erwachsener schon daran gedacht, ein Café oder eine Kneipe zu eröffnen?

Nein. Ich wollte Medizin oder Kunst studieren, konnte mir aber keinen dieser Wünsche erfüllen. Ich habe eine Weile lang Elektromaschinenbau gelernt und dann wechselte ich zu Politik und Wirtschaft, brach das Studium aber kurz darauf ab, weil ich nebenbei arbeiten musste, um mich durchzuschlagen. Als selbständiger Übersetzer spezialisierte ich mich auf die Sprachkombinationen Deutsch-Türkisch und Deutsch-Serbokroatisch. Nachdem ich genug Geld gespart hatte, beendete ich meine Lehre zum Bootsbauer. Danach führte ich eine Kebab-Produktion in Blankenese und stellte Kebab-Spieße für dreißig Kneipen her. Später habe ich die Bar vom Abaton-Kino, einem der ersten Programmkinos Deutschlands, mit aufgebaut und in Gang gebracht. Dann endlich eröffnete ich das Café Katelbach, wo man zwischen 1987 und 1999 nicht nur köstlich essen und trinken, sondern auch Lesungen, Konzerte und Ausstellungen genießen konnte.

Deine Liebe zur Kunst war noch da...

Im Katelbach zeigte ich Arbeiten von Künstlern aus Brasilien, Bulgarien, China, Italien, dem ehemaligen Jugoslawien, Nigeria, Russland, Spanien, der Türkei und den Vereinigten Staaten. Jetzt versuche ich Musikern eine Bühne im Pavillon, meinem anderen Café, zu bieten. Schräg gegenüber vom Café Katelbach gab es eine Verkehrsinsel, die die Behörden umgestaltet sehen wollten. 2004 habe ich mich bemüht, die öffentliche Ausschreibung zu gewinnen, weil es für das Katelbach verheerend gewesen wäre, einen Konkurrenten auf diesem kleinen Platz zu haben. Dort habe ich den Pavillon aufgebaut und eine Reihe von Konzerten veranstaltet. Ich spiele noch mit dem Gedanken, ein Klavier zu besorgen, so dass uns junge Pianisten und Pianistinnen die Nächte versüßen können.

Was deine Mitarbeiter und deine Stammkundschaft angeht, musst du sehr zufrieden sein. Die Vielfalt und Offenheit der alten Blankeneser Szene spiegelt sich in den Menschen um dich herum wider. Unter deinen Gästen finden sich die unterschiedlichsten Gestalten und ein paar Berühmtheiten – von Bella-Block-Star Hannelore Hoger bis zum Scooter-Sänger h.p. Baxxter.

In Blankenese gab es kaum Migranten. Dort war ich damals ein Unikat. Trotzdem war die Blankeneser Gesellschaft sozial ziemlich durchmischt. Und aus solchen bunten Gemeinden entstehen die fruchtbarsten Atmosphären – aus ihnen kommen die aufregendsten Sachen. Ich vermisse ein bisschen das Gefühl von Zugehörigkeit, das ich dort fand, freue mich aber gleichzeitig darüber, dass wir im Café Katelbach und im Pavillon ein ähnliches Gemengsel ansprechen konnten.

Ertekin, vielen Dank für das Gespräch... und den leckeren Espresso! »

2013

The real soul kitchen

Die Kitchen Guerilla kochte zunächst in „gekaperten“ Restaurants und übertrug ihr Konzept in der Folge locker auf Segelschiffe, freie Vereinsräume, eine Motorradwerkstatt, eine Tankstelle und ein Flüchtlingslager. Später traute sie sich über die Hamburger Grenzen hinaus. Mittlerweile spricht man sogar von einer Istanbuler Division dieser „mobilen Kocheinheit“.

Kitchen Guerilla, Heldinnen vor dem Herd

Text: Evan Romero
Fotos: Olaf Deharde. Daniel Kellermann

Dinner with friends

« Olaf Deharde, Koral Elci und sein Bruder Onur Elci sind die Anführer der Kitchen Guerilla. Um sich und ihre Freunde kulinarisch zu vergnügen, bauten sie ihre eigene temporäre Küche in gekaperten Restaurants auf bis das Bedürfnis nach größeren Herausforderungen sie überwältigte. Jetzt zaubern sie Wunder in unerwarteten Orten – da wo unter normalen Bedingungen nicht gekocht werden kann. Und der Krieg, den diese „mobile Kocheinheit“ gegen die gastronomische Langweile führt, beschränkt sich nicht auf das germanische Territorium. Mittlerweile spricht man von einer Hamburger und einer Istanbuler Division der Kitchen Guerilla.

Erzähl bitte, Koral, wie seid ihr auf die Idee einer wandernden Küche gekommen?

Diese Idee entstand vor zehn oder elf Jahre. Für mich ist das Kochen einer der wichtigsten Teile des sozialen Lebens. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen als Leute nach Hause einzuladen, köstliche gesunde Zutaten zu besorgen und eine große Tafel zu decken, um dann gut zu kochen, essen und trinken. Vielleicht weil unsere Eltern ein Restaurant in Ankara und später eins in Istanbul hatten – letzteres hat Onur und mich stark beeinflusst. Wir wollten allerdings kein Restaurant eröffnen, sondern in ständiger Bewegung bleiben. Keiner von uns ist professionell in der Gastronomie gelandet: Olaf ist Fotograf, mein Bruder Onur ist in der Werbebranche tätig und ich bin Produkt-Designer. Während ich studiert habe, übernahm ich das Familien Eck –eine Kneipe in Hamburg Ottensen–, um sie mit Onur zu betreiben. Dort lernten wir Olaf kennen. Wir wurden Freunde und, da auch er ein begnadeter Koch ist, haben wir angefangen uns zu fragen: „Wie können wir aus unserer Leidenschaft –denn sie ist kein Hobby– ein gutes Geschäft machen?“. In 2009, irgendwann in der Küche, nach der zweiten Flasche Wein, haben wir uns gesagt: „Wir kennen so viele Gastronomen. Warum übernehmen wir nicht ihrer Lokalen, wenn sie geschlossen haben?“ So fingen wir an, in Restaurants zu kochen, aber auch auf Segelschiffe, in freien Vereinsräumen, in der Motorradwerkstatt eines Freundes, in einer Tankstelle und in einem Flüchtlingslager. Da häuften sich die Locations und die Settings wurden von Mal zu Mal unterschiedlicher. Und später trauten wir uns über die Hamburger Grenzen hinaus.

Dieses Projekt hat sich aber sehr schnell entwickelt...

Kitchen Guerilla war schon in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Köln, München und Stuttgart. Dann waren wir in Dänemark, Frankreich, Griechenland, Libanon, der Schweiz und der Türkei. Mittlerweile haben wir unterschiedliche Nebenprojekte. Wir sind immer die Gastgeber, aber abseits unserer eigenen Events, gibt es Veranstaltungen wie die Tour, die wir in Zusammenarbeit mit der Firma Yeni Rakı durch Deutschland führen werden, deren Ziel ist, die Trinkkultur um den türkischen Rakı bekannt zu machen. Dieser Rakıhersteller ist nur einer von unseren Partnern und Unterstutzern. Unter ihnen gibt es auch Porzellan und Besteckdesigner, und mobile Küchenhersteller, als Beispiel. Dabei achten wir immer darauf, nur mit Produkten und Lieferanten zu arbeiten, die unsere Erwartungen erfüllen. Da geht’s uns um Qualität und auch um Ethik. Wir gucken uns gerne vor Ort an, wie unsere Partner arbeiten. Wir arbeiten nicht mit Konzernen zusammen, die Fertigsuppen fabrizieren, und lassen uns auch nicht Lämmer aus Neuseeland einfliegen. Natürlich gibt es Ausnahmen – es ist nicht so, dass wir uns regional zu streng einschränken. Aber wir versuchen immer mit lokalen Zutaten zu kreieren. Also mit Sachen, die in unserer Umgebung und in der Saison wachsen. Onur und ich sind in Istanbul ausgewachsen, und haben deshalb eine Neigung zur mediterranen Küche. Olaf kommt aus Norddeutschland und neigt eher zur nordeuropäischen Küche. Unser Partner in Istanbul, Ali Ronay, ist der einzige gelernte Koch unter uns und ist dadurch von internationaleren Einflüssen geprägt.

Welche Unterschiede gibt es zwischen der Hamburger Division und der Istanbuler Division von Kitchen Guerilla?

Wir operieren sehr ähnlich. Ali hat in Frankreich bei Paul Bocuse gelernt und später Erfahrungen in New York gesammelt. Dann hat er die große Küche in Hotels wie das Kempinski und das Ritz-Carlton geleitet. Aber irgendwann bekam er Lust auf etwas anders als das Kochen für große Hotels, entdeckte unser Projekt im Internet und nahm Kontakt mit uns auf. Als wir uns endlich mit Ali getroffen haben, hat es dermaßen gefunkt, dass wir uns sofort entschieden haben, zusammen zu arbeiten.

Ihr wollt, dass das Ganze bei dinner with friends bleibt. Und ihr freut euch über euren Nomaden-Status. Aber habt ihr nicht das Gefühl, dass der Erfolg von Kitchen Guerilla –ausgebuchte Veranstaltungen, mediale Aufmerksamkeit und Preisen, und so weiter– euch langsam dazu zwingt, sesshafter zu werden und euch ein festes Lokal zu besorgen?

Auf eine gewisse Weise ja. Kitchen Guerilla befindet sich in einer Expansionsphase. Wir suchen gerade Räumlichkeiten, um eine Basis-Station aufzubauen. Sie muss nicht unbedingt öffentlich zugänglich sein, aber sie soll uns erlauben, Events zu organisieren, mit Reservierungen oder Buchungen. Die Hauptsache ist: wir wollen einen Spielraum, ein Labor, eine Werkstatt, einen Treffpunkt für Gastronomen haben, wo wir kulinarische Experimente durchführen und neue Rezepte ausprobieren können.

Wie ein neues El Bulli! Das klingt spannend. Ich habe allerdings den Eindruck, dass die Küchenchefs immer das Beste von den Partys verpassen, weil sie die ganze Zeit vor dem Herd sein müssen. Wie könnt ihr gleichzeitig kochen und die gesellige Atmosphäre eurer Events genießen?

Durch das Zusammenessen, eng beieinander, fördern wir ein Gefühl von Gemeinschaft, das Olaf, Onur und ich zu schätzen wissen. Unsere Stärke liegt daran, dass wir mit offener Küche arbeiten. Wir bereiten möglichst viel vor und machen dann eine Art live cooking. Wir legen auf mit leckerem Essen, so zu sagen. Was Hygiene betrifft, sind wir sehr pingelig und extrem vorsichtig – egal wo man ist, es muss sauber gearbeitet werden. Irgendwie schaffen wir es immer transparent und menschennah zu sein in allen was wir machen.

Vielen Dank, Koral, für dieses Gespräch. Alles Gute und weiterhin viel Erfolg! »